Gerade betrauert Europa wieder die Opfer eines Islamistischen Terroranschlags. Natürlich fordern die Rechtsextremen, sich aller Muslime zu entledigen. Natürlich wird generell ein härteres Vorgehen gegen (potenzielle) Täter verlangt.
Aber was, wenn drakonische Strafe und Gegengewalt nicht die Lösung sind? Warum tun wir uns so schwer damit, jemandem, der einen – mitunter auch großen – Fehler gemacht hat, eine Chance zur Rückkehr in die Gesellschaft zu geben? Wenn Strafe und gnadenlose Demütigung die Lösung wären, müssten die USA das friedlichste Land der westlichen Welt sein. Von allen Demokratien sind sie am einsperrwütigsten. Statt dessen wird es dort immer schlimmer.
Bastian Berbner erzählt in Folge 03 der „180 Grad – Geschichten gegen den Hass“ von einem Dänischen Polizisten, der Jugendliche mit Lächeln, Teetrinken und zuhören deradikalisiert – egal ob rechts, links oder islamistisch. Aber obwohl seine Methode funktioniert, besser funktioniert als drakonische Strafen, wird er auf Kongressen von Kollegen belächelt. Das kann man nicht machen. Das kann man den Leuten nicht erklären.
Rudger Bregman beschreibt in seinem Buch „Im Grunde gut“ (Affiliate Link) norwegische Gefängnisse, in denen hochkriminelle Straftäter von den Wärtern im Grunde wie ganz normale Menschen behandelt werden. Die Rückfallquoten sind viel geringer als bei uns – und unsere sind schon niedrig im Verhältnis zu den USA, die sich so ein gnädiges Verhalten gar nicht vorstellen können.
Wenn man sich die Geschichten von radikalisierten, von suizidgefährdeten und auch von süchtigen jungen Menschen anschaut, steht ganz oft die Erfahrung, „nicht gesehen zu werden“ am Anfang. Sie fühlen ausgeschlossen, gemobbt, nicht ernst genommen. Ist es dann verwunderlich, dass sie sich dem radikalen Prediger oder der Neonazigruppe zuwenden, die sie (scheinbar) als ihresgleichen aufnehmen? Ist es verwunderlich, dass sie mit Gewalt versuchen, sich den Respekt zurückzuholen, den sie für andere Leistungen nicht bekommen? Ist es verwunderlich, wenn Sie versuchen, mit Drogen aus der unwirtlichen Welt zu fliehen?
Was also, wenn die Lösung nicht in der Kriminalisierung, sondern in der freundlichen Zuwendung liegt? In der Begegnung auf Augenhöhe, die zeigt: ‚Ich sehe dich‘? — Das ist nicht das selbe wie ‚laissez faire‘ – Menschen keine Grenzen zu setzen heißt im Grunde auch nur, sie nicht zu sehen. Aber es ist eben auch nicht das Selbe wie beschimpfen, ausgrenzen und wegsperren. Wenn die Lösung also Zuwendung wäre, dann bräuchten wir mehr Sozialarbeiter als Gefängniswärter, Eltern mit mehr Zeit für Kinder statt Geld, ihnen neue Spielzeuge zu kaufen. Wir bräuchten Schulen, die Kindern aus schwierigen Familienverhältnissen eine Extraportion Aufmerksamkeit schenken, statt sie als hoffnungslose Fälle abzuschreiben.
Aber das kann man ja nicht machen. Das kann man den Leuten nicht erklären.